
Lohnt sich der Klinikbesuch in Deutschland für Patienten aus der Ukraine oder aus Russland? Prof. Dr. Dr. Ulrichs kennt beide Gesundheitssysteme. Seine Empfehlung: Die Diagnose im Heimatland machen und dann weitersehen.
Klinik Kompass: Herr Prof. Dr. Dr. Ulrichs, Sie sind seit 2001 immer wieder in Russland und Osteuropa gewesen und kennen die dortige Medizin. Gibt es eine Erkrankung, die Sie explizit nennen können, bei der in Deutschland einzigartige Heilverfahren angewandt werden?
Prof. Dr. Dr. Ulrichs: Eigentlich nicht. Es gibt einige Erkrankungen aus dem onkologischen Bereich, in denen in Deutschland bestimmte Chemotherapien und diagnostische Verfahren angeboten werden, beispielsweise beim Prostatakarzinom. Ich denke hier an bestimmte Medikamentenkombinationen, die es in anderen Ländern nicht gibt. Außerdem werden in Deutschland manche diagnostische Verfahren, wie etwa die Positronen-Emissions-Tomografie, angewandt. Dieses Verfahren ermöglichen mehr Einblicke in die Tumorerkrankung und können die Therapie beeinflussen. Ansonsten ist es so, dass die meisten Erkrankungen in Russland und der Ukraine ähnlich behandelt werden wie in Deutschland.
Klinik Kompass: Wir haben in Deutschland eine große Anzahl an Patienten aus dem Ausland. Circa 250.000 Menschen lassen sich pro Jahr hier behandeln. Wenn die meisten Erkrankungen auch im Heimatland behandelt werden können, wieso kommen dann so viele Menschen nach Deutschland?
Prof. Dr. Dr. Ulrichs: Zum einen zählt hier der Ruf der deutschen Medizin, der im Ausland sehr gut ist. Der medizinisch-technische Fortschritt lässt sich messen, und da gehört Deutschland zur Weltspitze. Die WHO misst das etwa in den Erhebungen zur Universal Health Coverage, in denen Deutschland regelmäßig sehr gut abschneidet. Das führt dazu, dass viele Patienten sagen: „Dann möchte ich auch dorthin gehen, wo es die beste Versorgung gibt“.
Klinik Kompass: Würden Sie denn zum Beispiel einer Patientin mit Brustkrebs raten, nach Deutschland zu gehen, wenn die Behandlung ebenso gut im Heimatland erfolgen könnte?
Prof. Dr. Dr. Ulrichs: Was in Deutschland schon länger gemacht wird und gut etabliert ist, ist die molekulargenetische Diagnostik, auch als Screeningverfahren, sodass man bei bestimmten Voraussetzungen prophylaktisch tätig werden kann. Sprich, neuere Ansätze, die gibt es eher in Deutschland, aber grundsätzlich gilt, dass es bei Brustkrebs durchaus Möglichkeiten gibt, sich in den Heimatländern gut behandeln zu lassen. Ich würde raten, dass man sich im eigenen Heimatland die Diagnose holt und sich dort gut untersuchen lässt und dann Möglichkeiten eruiert, ob es einen Mehrwert bringt, wenn man die Behandlung in Deutschland durch- oder fortführt.
Klinik Kompass: Gehen wir nun davon aus, es gibt einen Patienten, der sich dazu entschlossen hat für eine Behandlung nach Deutschland zu reisen. Wie findet er ein passendes Klinikum?
Prof. Dr. Dr. Ulrichs: In Russland haben die Kliniken oft schon Partnerkrankenhäuser in Deutschland. Diese können dann direkt ein Klinikum oder eine bestimmte Abteilung empfehlen. So haben die Patienten den Überblick, welches Leistungsspektrum angeboten wird. Ansonsten kann man auf den Homepages vieler deutscher Krankenhäuser sehen, welche Spezialisten es im Haus gibt und welche Verfahren sie anbieten.
Klinik Kompass: Wenn klar ist, wo man behandelt wird, wie geht es weiter? An wen wendet man sich, um Hilfe bei der Hotelsuche in Deutschland, der Übersetzung etc. zu erhalten?
Prof. Dr. Dr. Ulrichs: Auch hier gibt es Unterschiede, je nachdem welches Haus man wählt. Viele Kliniken haben sich bereits auf Patienten aus dem Ausland eingestellt. Dort werden dann Übernachtungsmöglichkeiten auf dem Klinikgelände oder in der Nähe angeboten. Zudem gibt es in den Kliniken oft Ansprechpartner, die in verschiedenen Sprachen bei allen organisatorischen Fragen helfen.
Klinik Kompass: Man wendet sich also zunächst immer an das Krankenhaus und bittet um weitere Hilfe?
Prof. Dr. Dr. Ulrichs: Genau. Das Krankenhaus ist ja letztlich der Hauptpartner des Patienten, was den Behandlungsvertrag angeht. Deswegen bietet es sich an, die Planung des Aufenthalts über das Krankenhaus zu organisieren. Natürlich können auch die einzelnen Communities oder Vertretungsorganisationen des jeweiligen Heimatlandes helfen.
Klinik Kompass: Sprechen wir über Geld. Müssen die Behandlungskosten immer privat vorgestreckt werden oder zahlen auch Versicherungen?
Prof. Dr. Dr. Ulrichs: Mein letzter Stand ist, dass man mit einigen Partnerländern versucht, über eine Partnerschaft mit Versicherungen die Kosten aufzufangen. Hier fragt man als Patient aus Russland oder der Ukraine am besten bei der eigenen Versicherungen nach, was übernommen wird. Die sicherste Variante, die von allen Kliniken akzeptiert wird, ist die Bezahlung in Cash oder mit Kreditkarte.
Klinik Kompass: Sie waren auch an der Gründung des Koch-Metschnikow-Forums (KMF) im Jahr 2006 beteiligt. Was hat es mit dem Forum auf sich?
Prof. Dr. Dr. Ulrichs: Bei dem Forum geht es nicht um Geld. Es ist eine Non-Profit-Organisation. Unsere Aufgabe ist es, die wissenschaftliche Partnerschaft zwischen Deutschland und den osteuropäischen Nachbarn, vor allem Russland, zu vertiefen und auszubauen. Das machen wir, indem wir inhaltlich gemeinsame Forschungsprojekte auf den Weg bringen, Austauschprogramme für Nachwuchswissenschaftler organisieren und indem wir uns regelmäßig treffen und über neue Diagnostik- und Heilverfahren diskutieren.
Klinik Kompass: Herr Prof. Dr. Dr. Ulrichs, vielen Dank für das Interview!
Prof. Dr. med. Dr. Timo Ulrichs ist ausgebildeter Mediziner mit dem Spezialgebiet Mikrobiologie. Er arbeitete als Professor für globale Gesundheit an der Akkon-Hochschule für Humanwissenschaften, der Hochschule der Johanniter. Zudem ist er Mitbegründer des Koch-Metschnikow-Forums (KMF), mit dem ein wissenschaftlicher Austausch mit Osteuropa und Russland gefördert wird.