Selfie von Klaus Kronewitz, Foto: privat

Klaus Kronewitz, Jahrgang 1955, war vor seiner Pensionierung über 40 Jahre in der Pharmabranche tätig, zuletzt in leitender Position verantwortlich für Forschung und Studien. Vermutlich kommt daher sein gutes Gespür für den richtigen Umgang mit Informationen. Seine Begabung, das Wesentliche in einfacher Sprache erklären und vermitteln zu können, ließen ihn nach seiner eigenen Krebsdiagnose 2015 zu einem aktiven Selbsthilfegruppenleiter werden. 

Ein Bericht von Klaus Kronewitz, dokumentiert von Peter Feierabend

Meine eigene Geschichte ist schnell erzählt: Ich bin immer zur Vorsorge gegangen, habe aber nie den PSA-Wert testen lassen. Das lag bestimmt nicht am Geld; man gibt ja so viel Geld für unnütze Dinge aus. Es war eher mein unterschwelliger Protest am „System“ der Männergesundheit und Vorsorge, weil Ärzte damit teilweise wie kleine Beutelschneider rüberkamen. Ich habe es dann aber doch machen lassen und der Wert war erhöht. Zunächst sah es so aus, als könnte es eine Prostatitis sein. Ich nahm für sieben Tage Antibiotika. Der Wert wurde aber nicht besser.

Also wurde eine Biopsie gemacht, übrigens der einzige Weg, um die Ausbreitung und Aggressivität des Krebses verlässlich zu bestimmen. Es wurde 12 Mal gestanzt. Als ich dann die Diagnose bekam, in einer äußerst knappen und fast überrumpelnden Art und Weise, war ich überrascht und sprachlos, was bei mir selten vorkommt. Um nicht zu sagen: Ich war total perplex. Ein Tumor. Was passiert jetzt? Wie lange lebe ich noch? Dem Arzt ging es nur um eine OP. Er saß vor seinem Kalender und sagte, in zwei Wochen hätte er noch was frei. Das müssten wir aber jetzt sofort entscheiden. Gut, dass meine Frau dabei war, ich war gar nicht in der Lage, irgendetwas zu entscheiden.

Danach habe ich versucht, mich möglichst breit zu informieren, und bin schnell auf den Bundesverband Prostatakrebs gestoßen. Über diesen habe ich in Berlin eine Selbsthilfegruppe gefunden, die ich sofort besucht habe. Nach seinem Vortrag dort bat ich Prof. Dr. Weißbach, sich meine Unterlagen anzuschauen. Was für eine Fügung, muss ich heute sagen. Ich bekam eine wichtige, wenn auch drastische, aber letztendlich entscheidende Zweitmeinung.

Diese Zweitmeinung hat mir vermutlich zehn Jahre Lebensqualität geschenkt

Professor Weißbach riet mir dringend von einer Operation ab und empfahl eine aktive Überwachung mit engmaschigen Kontrolluntersuchungen. Also suchte ich mir einen anderen Urologen, bei dem ich bis heute „Active Surveillance“ (AS) mache. Ich habe in der Folge nie Medikamente bekommen: Es handelt sich um eine reine Überwachungsstudie. Und es geht mir damit sehr gut. Diese Zweitmeinung hat mir vermutlich zehn Jahre Lebensqualität geschenkt und mich vor einer OP mit möglichen Nebenwirkungen bewahrt. Derzeit steigt mein PSA-Wert leider wieder langsam an und ich werde mich für eine Therapie-Option entscheiden müssen, sollte der Wert über 10 steigen, gemäß den S3-Leitlinien für AS.

Seit meiner eigenen Diagnose setze ich mich für Prävention und Früherkennung ein. Durch alles, was man am Anfang macht, erspart man sich Kosten und vor allem die bekannten Nebenwirkungen. Man vermeidet unnötige und komplizierte Operationen und aufwendige, aber unnötige Behandlungen. Man sollte, das ist mein Rat an alle Betroffenen, immer eine Zweitmeinung einholen und nach geeigneten Fachzentren Ausschau halten. Und man sollte die verfügbaren Hotlines nutzen. Da sitzen nicht unbedingt Mediziner, aber Menschen, die sich lange und intensiv genug mit dem Krebs auseinandergesetzt haben, um die Richtung aufzeigen zu können.

Die Arbeit der Selbsthilfegruppen hat mich begeistert und aktiv werden lassen. 2019 initiierte ich selbst die Neugründung der Prostatakrebs-Selbsthilfegruppe Berlin-Nord. Seit 2021 bin ich auch Sprecher des Patientenbeirats des Comprehensive Cancer Center der Charité und seit 2023 Mitglied des Patientenforschungsrats am NCT Berlin. Mit den Mitgliedern unserer Selbsthilfegruppe besuchen wir Kliniken, Reha-Einrichtungen, Radiologiezentren, organisieren Fachvorträge und Fragestunden mit Fachpersonal, geben Ernährungsberatungen und sorgen für Bewegungsangebote wie unser beliebtes „Rudern gegen den Krebs“.

Die Gruppe von mittlerweile 80 Mitgliedern saugt das Programm geradezu auf. Der Umgang miteinander ist freundschaftlich, und das ist auch die Stärke. Wir schaffen hier soziale Bindungen und einen geschützten Raum zum Reden und Austauschen. Bei uns wird Klartext gesprochen. Wir laden immer auch die Frauen oder Partner ein, weil die oft genauso ratlos sind. Ich habe immer noch den Plan, für die Ehefrauen eine eigene Selbsthilfegruppe zu starten, weil die Bedeutung  der Krebserkrankung ihrer Männer in deren eigenen Leben nirgends richtig berücksichtigt wird.

Ein Glas Wein oder ein Stück Schokolade wird uns nicht umbringen.

Selbst schlimme Verläufe helfen uns als Gruppe, weil es immer etwas zu lernen gibt und weil es uns menschlich zusammenschweißt. Die Gemeinschaft bietet auch bei psychischen Problemen Unterstützung. Voneinander zu lernen beruhigt und beeinflusst die Ergebnisse positiv. Und manchmal bewirken auch vermeintlich kontraproduktive Ideen Wunder. Wir bieten Kochkurse mit einer Ernährungsberaterin an. Beim ersten Mal sagte sie: „So, zu diesem Gericht trinken wir jetzt ein ordentliches Glas Rotwein.“ Da waren alle erst einmal verunsichert. Wir sind doch krank. „Quatsch”, sagte sie, „wo ist denn der Gegner? Ein Glas Wein oder ein Stück Schokolade wird uns nicht umbringen, solange es nicht übertrieben wird.” Das hat bei uns im Denken einiges geändert.

Für dieses Ändern im Denken gibt es einige gute Beispiele, wie z.B. auch das Survivors Home in Berlin. Das ist eine richtige Wohlfühloase für Betroffene. Ich wünsche mir mehr davon. Negativbeispiele gibt es leider auch viele. Die finde ich manchmal auf den Palliativstationen im Krankenhaus, wo schon das Kondolenzbuch am Eingang liegt. Was macht das mit den Betroffenen und ihren Angehörigen? Wir wissen doch, wohin es führt. Trotzdem möchten wir etwas Aufbauendes für den nächsten Tag, die nächste Woche und den nächsten Monat haben.

Manche haben auch einfach noch etwas zu erledigen, sei es ein klärendes Gespräch mit jemandem oder eine Patientenverfügung, und wollen nicht einfach so im Krankenhaus ihren letzten Atemzug aushauchen. Ein Mitglied meiner Gruppe lag da schon, unfähig aufzustehen, schlief während meines Besuchs ständig ein; das war wirklich schlimm zu ertragen. Ich bat ihn, trotzdem zu kämpfen. Zwei Wochen später rief er mich von zu Hause aus an: Er könne schon wieder mit dem Rollator gehen und endlich seine Unterlagen ordnen. Er fühlte sich wohl und ist sechs Monate später entspannt zu Hause gestorben. Das klingt profan, ist es aber nicht.

Wir brauchen auch mehr Öffentlichkeitsarbeit, gerne in den U-Bahnen mit Plakaten, im Fußballstadion oder sonst wo. Wir brauchen mehr Coming-Outs zu Prostatakrebs! Wir müssen mit dem Stereotyp vom Starken-Mann-Markieren aufhören. Wir brauchen Mutmachergeschichten. Der Krebs ist sehr gut behandelbar, wenn er früh entdeckt wird. 70.000 Neuerkrankungen haben wir in Deutschland jährlich, was immer noch zu unglaublichen 16.000 bis 17.000 Todesfällen führt. Viele, weil die Kerle nicht zur Vorsorge gegangen sind und es deshalb zu spät entdeckt wurde.

Und wir müssen die Widersprüchlichkeit in unserem Gesundheitssystem ändern. Da ist so viel Unsinn drin. Gerade mit nicht gedeckten Leistungen, die es für den Mann als Kostenpunkt gibt, für die Frau aber nicht. Manche Gruppenmitglieder bei uns leben von Sozialhilfe. Die können nicht alles finanzieren. Das ärgert mich. Wenn die hören: „Dann müssen Sie die 1.000 Euro wohl selbst bezahlen…“, kommt Panik auf.

Jeder hat eine andere Prostata und einen eigenen Krankheitsverlauf.

Wir wissen doch, es gibt keine Blaupause. Jeder hat eine andere Prostata und einen eigenen Krankheitsverlauf. Einige gute Fachleute sagen deshalb auch, dass wir eine personalisierte Medizin brauchen. Manches kommt erst im Laufe der Behandlung zum Vorschein. Es muss patientenverständlich erklärt werden und den Männern muss die Angst genommen werden. Man muss sich nach dem Befund regelmäßig untersuchen und überwachen lassen, deshalb müssen minutiös Termine wahrgenommen werden. Wenn dann was ist, kann man reagieren. Das muss ich aber wissen und vielleicht auch lernen. Nur der gut informierte Patient kann richtig für sich entscheiden.

Als Patientenvertreter wünschen wir uns noch bessere Diagnosetechnologien und eine bessere Beratung zu den jeweiligen Maßnahmen. Insgesamt, und da spreche ich aus eigener Erfahrung, müssen Früherkennung und Vorsorge verbessert werden. Meine Bitte: Gehen Sie zur Früherkennung. Vorsorge kann Leben retten! Holen Sie sich vor einer Therapieentscheidung eine Zweitmeinung ein, z.B. bei der Cancer-Hotline der Charité Berlin. Haben Sie Mut, mit eigenen Worten nachzufragen, ob Sie alles richtig verstanden haben. Bitten Sie darum, vor Ihrer finalen Entscheidung eine Nacht darüber schlafen zu dürfen. Gehen Sie in ein zertifiziertes Tumorzentrum, das regelmäßig von der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) zertifiziert wird. Erkundigen Sie sich, wer für diese spezielle Therapie die größte Expertise hat und die meisten Eingriffe vornimmt. Sie sind der Patient und nur Sie entscheiden über Ihren Körper!

Bei aller Skepsis und Vorsicht: Vertrauen Sie nicht dem Internet mehr als Ihren Ärzten. Leider sind unseriöse Angebote von seriösen nicht zu unterscheiden. Und suchen Sie bereits bei der Erstdiagnose eine Selbsthilfegruppe auf, die Sie auffängt.


Dieser Erfahrungsbericht ist dem Buch „Früh genug! Ja zum Leben mit Prostatakrebs“ entnommen. Es wurde von den beiden Ärzten Prof. Dr. Felix Chun und Prof. Dr. Christian Gratzke sowie der Ärztin Prof. Dr. Derya Tilki herausgegeben. Es kostet im Handel 29.99 Euro, aber kann von Betroffenen oder ihren Angehörigen über diesen Link kostenlos bezogen werden. Nur das Porto muss dann entrichtet werden.