Stockfoto, Fotograf: crystal710/Pixabay

In Berlin trafen sich am 12. und 13. Mai 2025 auf der International ME/CFS Conference Forscher und Forscherinnen aus der ganzen Welt, um über die Diagnose und Therapie von ME/CFS und Long Covid zu sprechen. Hier sind 10 Erkenntnisse über die beiden Erkrankungen, die auf der Konferenz diskutiert wurden. 

Die schlechte Nachricht zuerst: Keiner der Forschenden präsentierte eine einzelne Laboruntersuchung oder Bildgebung, die die Diagnose eindeutig beweist. Und auch eine ursächliche Therapie, also ein Medikament oder Verfahren, das ME/CFS oder Long Covid heilt oder vollständig rückgängig macht, gibt es derzeit noch nicht. Dennoch zeigten die Referenten und Referentinnen in verschiedenen Vorträgen, neue Ansätze für Diagnose und Therapie, die nachfolgend vorgestellt werden.

Grundsätzliches

1. ME/CFS und Long-Covid sind keine Einbildung – sondern zeigen körperliche Schäden
Vortrag: Prof. Jürgen Steinacker (Ulm)
Fachbegriff: Mitochondriale Dysfunktion
Was ist das? In Muskelbiopsien sah man: Die Mitochondrien (also die „Kraftwerke“ der Zellen) sind bei Betroffenen geschädigt.
Bedeutung: Dies erklärt, warum scheinbar kleine Anstrengungen „wie Marathon laufen“ wirken können – der Körper hat zu wenig Energie.

2. Anstrengung kann krank machen – und zwar verzögert
Vortrag: Michael Stingl (Österreich)
Fachbegriff: Post-Exertional Malaise (PEM)
Was ist das? Viele Patienten und Patientinnen mit ME/CFS oder Long-Covid verschlechtern sich stark nach körperlicher, geistiger oder emotionaler Belastung – oft erst nach Stunden oder Tagen. Dieses Phänomen nennt man PEM.
Wichtig: Deshalb ist „Pacing“ entscheidend – also das kluge Einteilen der Kräfte, mit Ruhepausen vor der Erschöpfung.

3. Das Nervensystem ist häufig mit betroffen
Vorträge: Takashi Yamamura (Japan)
Fachbegriff: Dysautonomie / Small Fiber Neuropathie
Was bedeutet das? Viele Beschwerden wie Herzrasen, Blutdruckschwankungen, Magen-Darm-Probleme oder Kältegefühl können vom autonomen Nervensystem kommen.
Diagnose: z. B. Kipptisch-Test, Hautbiopsie oder spezielle Fragebögen
Behandlung: Anpassung von Flüssigkeit, Salz, ggf. Medikamente wie Pyridostigmin oder Midodrin

4. Autoantikörper greifen das Nervensystem an
Vortrag: Takashi Yamamura, Jeroen den Dunnen
Fachbegriff: GPCR-Autoantikörper, IgG-Transfermodell
Was ist das? Bei manchen Betroffenen greifen Antikörper fälschlich das eigene Nervensystem an. Das kann zu Symptomen wie Fatigue führen.
Behandlungsmöglichkeiten: Studien zeigen: Manche sprechen auf Immuntherapien wie Rituximab oder Immunadsorption an. In einem Tierversuch verursachten Antikörper von Long-Covid-Patienten Fatigue-Symptome bei Mäusen – ein Hinweis auf eine körperliche Ursache.

5. Gehirn und Konzentration sind messbar beeinträchtigt – aber auch verbesserbar
Vortrag: Alan Cash, Takashi Yamamura
Fachbegriff: kognitive Dysfunktion, Brain Fog
Was ist das? Betroffene berichten, dass sie sich schwer konzentrieren können, vergesslich sind oder langsamer denken.
Behandlungsmöglichkeiten: In Studien zeigten sich Verbesserungen durch Oxaloacetat oder Immunbehandlungen. Auch Gehirnuntersuchungen (z. B. spezielle MRTs) zeigen messbare Veränderungen.

Diagnose und Therapie

6. Einfache Tests helfen bei der Diagnose
Vortrag: Michael Stingl
Beispiele: Fragebogen zu den Symptomen (z. B. DePaul Symptom Questionnaire), Handkrafttest vor und nach Belastung
Was zeigt das? Menschen mit ME/CFS haben nach wenigen Wiederholungen deutlich weniger Kraft – ein Hinweis auf gestörte Energieverwertung.
Gut zu wissen: Diese Tests sind einfach und auch in Hausarztpraxen möglich.

7. „Off-Label“-Medikamente dürfen verschrieben werden
Vortrag: Prof. Bernhard Wörmann (Charité Berlin)
Was heißt das? Manche Medikamente sind nicht offiziell für ME/CFS oder Long-Covid zugelassen, dürfen aber trotzdem verschrieben werden, wenn sie Symptome lindern, die auch bei anderen Erkrankungen vorkommen (z.B. Asthma oder Depression).
Wichtig: Ärztinnen und Ärzte riskieren dabei keine Regress-Forderung, wenn eine plausible medizinische Begründung vorliegt.

8. Ivabradin kann gegen starkes Herzklopfen helfen
Vortrag: Prof. Bernhard Wörmann
Fachbegriff: Posturales Tachykardie-Syndrom (POTS)
Was ist das? Viele Long-Covid-Patientinnen und Patienten haben Herzrasen im Stehen, weil das autonome Nervensystem gestört ist.
Behandlung: Das Medikament Ivabradin kann den Ruhepuls senken, ohne den Blutdruck zu beeinflussen.

9. Low-Dose-Naltrexon (LDN) kann helfen – bei Schmerzen und Erschöpfung
Vorträge: Bernhard Wörmann
Was ist das? Naltrexon wird normalerweise bei Suchterkrankungen eingesetzt. In sehr niedriger Dosis (0,5–4,5 mg) kann es das Immunsystem beruhigen und chronische Schmerzen lindern.
Status: Erste Studien zeigen positive Ergebnisse.

Eine Liste mit allen Off-Label-Medikamenten, die Ärzte verschreiben können, finden Sie hier.

10. Oxaloacetat kann das Energielevel verbessern
Vortrag: Alan Cash (USA)
Was ist das? Oxaloacetat ist ein natürlicher Stoff, der in unseren Zellen bei der Energieproduktion eine zentrale Rolle spielt.
Was zeigte die Studie? Bei 40 % der ME/CFS-Patientinnen und Patienten verbesserte sich die Erschöpfung deutlich (durchschnittlich 63 %). Auch das Denken („brain fog“) wurde klarer.
Form: Als medizinisches „Diätprodukt“ (ähnlich wie Nahrungsergänzung) verfügbar – aber derzeit teuer (ca. 300 €/Monat). Auf der Konferenz fragte Frau Prof. Scheibenbogen einen Rabatt für deutsche Patienten an und Alan Cash gab sich kompromissbereit. Es ist bei Interesse an diesem Produkt also sinnvoll, die Berichterstattung über Oxaloacetat zu verfolgen.

Quelle: International ME/CFS Conference 2025

Text: Lukas Hoffmann