Jochen Riedel
Der gelernte Jurist Johannes Riedel war vor seinem Ruhestand im Jahr 2014 Präsident des Oberlandesgerichts Köln. Seit dem 1. Dezember 2015 ist er Vorsitzender der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler im Kammerbezirk Nordrhein (südliche Hälfte von Nordrhein-Westfalen). ©Jochen Rolfes

Wenn ein Behandlungsfehler vorliegt, kann man sich an die Gutachterkommission der zuständigen Ärztekammer wenden. Sie ist eine außergerichtliche Schlichtungsstelle zwischen Arzt und Patient. Im Interview sagt Johannes Riedel, wie das abläuft.

Herr Riedel, Sie sind Vorsitzender der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler der Ärztekammer Nordrhein. Muss ein Arzt sich Sorgen machen, wenn er Post von Ihnen bekommt?

Johannes Riedel: Nein, er muss sich keine Sorgen machen. Unser Schreiben ist für ihn eine Last, das ist uns bewusst. Aber wir raten dazu, gelassen zu bleiben und sich seiner sorgfältig anzunehmen. Denn je sorgfältiger die Antwort ausfällt, desto eher sind wir in der Lage, den Sachverhalt sauber aufzuklären.

Können sich Patienten immer beschweren oder nur wenn sie konkrete Beweise vorlegen?

Johannes Riedel: Der Patient muss bei Behandlungsfehlern keine Beweise vorlegen. Es reicht aus, dass eine einigermaßen konkrete Rüge vorliegt. Sie muss allerdings so konkret sein, dass wir identifizieren können, welcher Arzt und welche Einrichtung betroffen ist. Man muss also nach Ort, Zeit und Behandler präzisieren.

Kommt es auch vor, dass Sie Post von Patienten bekommen und die Bearbeitung ablehnen, weil es sich Ihrer Meinung nach um eine Kleinigkeit handelt?

Johannes Riedel: Manchmal landen Fälle bei uns an, die älter als fünf Jahre alt sind. Unser Statut sagt, dass man in der Regel fünf Jahre nach Behandlungsende keinen Antrag mehr stellen kann. Der Hintergrund ist der, dass man nach fünf Jahren in der Regel große Schwierigkeiten hat, die Sachverhalte aufzuklären. Die Behandlungsdokumentation wird zwar zehn Jahre aufgehoben, so steht es im Gesetz, aber je mehr Zeit vergeht, desto schwieriger wird es, die Sache vernünftig zurückzuverfolgen. Man stelle sich einen Krankenhausarzt vor, der hunderte von Patienten im Jahr hat, der sich an einen Fall vor fünf Jahren erinnern.

Wenn der Fall älter als fünf Jahre ist, könnte man als Patient theoretisch aber vor Gericht ziehen und die Gutachterkommission übergehen, richtig?

Johannes Riedel: Selbstverständlich. Der Schritt zum Gericht bleibt völlig unbenommen. Die Gutachterkommission ist ein freiwilliges Schlichtungsverfahren. Unser Ergebnis ist für die Patienten nicht verbindlich. Allerdings ist es statistisch so, dass wir in den allermeisten Fällen zur Befriedung beitragen.

Bei wie vielen Fällen sind Sie denn, ebenso wie der Patient, der Meinung, dass ein Behandlungsfehler vorliegt?

Johannes Riedel: In Nordrhein ist es ungefähr so wie im Bundesdurchschnitt. In etwa 70 Prozent der Fälle wird kein Behandlungsfehler festgestellt. Da wird der Befriedungseffekt dadurch erreicht, dass wir sagen, die Beschuldigungen lassen sich nicht erhärten. In etwa 30 Prozent der Fälle wird ein Behandlungsfehler festgestellt. Hier versuchen wir zwischen den beteiligten Patienten und Ärzten zu vermitteln.

Wenn Sie einen Fehler festgestellt haben, wandern die Fälle dann weiter zum Gericht, so dass auf den Arzt nach Ihrer Schlichtung strafrechtliche Konsequenzen zukommen?

Johannes Riedel: Wir haben im Augenblick keine zuverlässigen Statistiken, wie viele Fälle gütlich beigelegt werden und wie viele Fälle doch noch zum Gericht wandern. Vor fünfzehn Jahren haben Untersuchungen ergeben, dass es nur zu einem sehr geringen Prozentsatz zu gerichtlichen Folgeprozessen kam. Wir haben in Nordrhein vor, einen Erfahrungsaustausch mit Richterinnen und Richtern zu organisieren, die mit Arzthaftungsfällen zu tun haben.

In der letzten Statistik der Bundesärztekammer ist zu lesen, dass in der Orthopädie im Klinikum am meisten Behandlungsfehler gemacht werden. In der Kardiologie sind es am wenigsten. Arbeiten Kardiologen gewissenhafter als Orthopäden?

Johannes Riedel: Das ist eine Frage, auf die man kommen könnte, wenn man die Statistik liest. Aber: Zunächst einmal sind die Zahlen bundesweit nicht so hoch, dass sie eine statistische Relevanz haben. Außerdem gibt es medizinische Fachgebiete, bei denen man die Korrektheit der Behandlung leichter nachvollziehen kann als bei anderen. Das ist bei orthopädischen Fachgebieten leichter. Sie können die intraoperativen Bildgebungen später noch einmal betrachten und die postoperativen Aufnahmen ebenfalls. Sie können auf einer vergrößerten Aufnahme sehen, hier hat eine Schraube übergestanden und den Fehler nachweisen. In der Kardiologie gibt es hier schon sehr viel weniger Möglichkeiten, Dinge nachträglich nachzuvollziehen.

Sie wollen einen Behandlungsfehler melden? Dann wenden Sie sich an die zuständige Gutachterkommission in Ihrem Bundesland. Sie finden diese hier! 

Dieses Interview erschien zuvor in einer veränderten Fassung im Deutschen Ärzteblatt/Ärztestellen.