Dr. Jörg Oliver Semler
Dr. Jörg Oliver Semler leitet die Spezialambulanz für seltene pädiatrische Skeletterkrankungen und pädiatrische Rheumatologie in der Kinder- und Jugendmedizin der Uniklinik Köln, ©privat

Kinderarzt Dr. Jörg Semler ist an Osteogenesis Impferfekta, der sogenannten Glasknochenkrankheit, erkrankt und zugleich Experte für diese Erkrankung. Im Interview spricht er darüber, wie die Glasknochenkrankheit derzeit therapiert wird, an wen sich Eltern betroffener Kinder wenden können und wie er seinen Beruf als Arzt an der Uniklinik Köln erlebt.

Herr Dr. Semler, Sie hatten in Ihrer Kindheit und Jugend dreißig Knochenbrüche. Wie steckt man so etwas weg?

Dr. Semler: Ich habe in der Kindheit den Umgang mit Rückschlägen gelernt. Und auch, dass man sich mit seiner Erkrankung und seinem Anderssein auseinandersetzen muss. Das ist erst einmal schwierig, dazu muss man eine stabile Psyche aufbauen. Wenn ich mit dem Kittel durch die Ambulanz gehe, finden alle Kinder das interessant und sagen Dinge wie: „Guck mal, Mama, der kleine Arzt da!“ Das muss die Psyche verkraften.

Zu Osteogenesis Imperfekta, der Glasknochenkrankheit, gibt es keine Leitlinie für die Behandlung. Bei einem Paper der Deutschen Gesellschaft für Osteogenesis Imperfekta Betroffene e.V. zum Thema waren Sie als wissenschaftlicher Berater beteiligt. Ist Osteogenesis Imperfekta für Ihre Kollegen leicht zu diagnostizieren?

Dr. Semler: Das Problem ist, dass die Erkrankung in einer sehr unterschiedlichen Schwere auftritt. Es gibt einige Fälle, die sind klar. Hier sind bereits vor oder bei der Geburt die Oberschenkel deutlich gebogen und es kommt bereits jetzt zu Frakturen. Die mittleren Verlaufsformen sind hingegen schwierig zu diagnostizieren, bei denen häufig eine Kindesmisshandlung im Raum steht. Wenn Kinder mit Knochenbrüchen unerklärter Ursache mehrfach in der Notaufnahme auftauchen, wirft das Fragen auf. Letztlich wird man bei allen Kindern eine genetische Ursache durchführen und dann die Diagnose relativ schnell stellen können. Die Voraussetzung dafür ist, dass die Kollegen daran denken, den genetischen Test zu machen.

Wie geht man als Elternteil vor, wenn das Kind an Osteogenesis Imperfekta erkrankt ist?

Dr. Semler: Eine gute Maßnahme ist es, mit der Selbsthilfe Kontakt aufzunehmen und dann braucht man jemanden, der sich auf das Krankheitsbild spezialisiert hat. Man braucht in der Nähe des Wohnsitzes eine kompetente Kinderorthopädie, die im Falle eines Bruchs eine gute Erstversorgung machen kann. Man kann sicherlich nicht erwarten, dass alle Kinderchirurgen Erfahrungen in der Behandlung von Glasknochen haben. Es ist sinnvoll, dass Eltern Kontakt zu Zentren suchen, in denen Spezialisten arbeiten.

Werden Kinder mit Glasknochen von Chirurgen anders behandelt als Kinder, die nicht von dieser Erkrankung betroffen sind?

Dr. Semler: Ja, werden sie! Die Frakturversorgung mit einem Gips ist in der Regel problemlos machbar. Aber Operationen sollten nur in spezialisierten Zentren laufen, weil dort bestimmte Teleskopnägel verwendet werden, die dann über viele Jahre im Knochen bleiben. Und die Knochen sind viel brüchiger, man sollte bei der Operation die Missbildung der Knochen korrigieren.

Würden Sie sagen, die Behandlung von Patienten mit Osteogenesis Imperfekta ist in Deutschland auf einem höchsten Stand? Gibt es Länder, in denen Kinder und Erwachsene mit dieser Erkrankung besser betreut werden als bei uns?

Dr. Semler: Ich würde sagen, wir spielen schon in der höchsten Liga mit. Insbesondere deswegen, weil wir zunehmend eine bessere Verknüpfung zwischen der medikamentösen, operativen und physiotherapeutischen Therapie erreichen. Es gelingt uns in Deutschland mittlerweile gut, diese drei Säulen zu verzahnen.

Die Krankheit kann aktuell nicht geheilt werden. Gibt es in der Forschung Entwicklungen, die Ihnen Hoffnung machen, dass sie in Zukunft vielleicht doch irgendwann geheilt werden kann?

Dr. Semler: Ein Heilmittel ist bei einer genetischen Erkrankung eine schöne Hoffnung. Aber seit den letzten fünf bis zehn Jahren tut sich auf dem Medikamentensektor sehr viel mehr. Es werden neue Medikamente entwickelt, die die Symptome lindern. Früher war es sehr schwierig forschende Unternehmen für Seltene Erkrankungen zu begeistern, da hat sich einiges getan.

Sie sind Arzt und Patient zugleich. Würden Sie sagen, Sie betreuen Patienten anders als Ihre Kollegen?

Dr. Semler: Ich kann mich wahrscheinlich in manche Erkrankungs-Situationen besser hineinversetzen, weiß aber auch, was trotz Erkrankung machbar ist, wenn man sich anstrengt. Deshalb bin ich jemand, der Patienten und Familien viel abverlangt. Die Hauptsymptome von Osteogenesis Imperfekta hören nach der Pubertät auf. Das heißt, in der Kindheit und Jugend stellt man die Weichen für das spätere Leben, auch wenn diese Zeit die schwierigste ist, weil im Rahmen des Wachstums die meisten Knochenbrüche auftreten.


Priv.-Doz. Dr. Oliver Semler hat in Freiburg und Köln Humanmedizin studiert und die Facharztausbildung zum Kinderarzt gemacht. Er ist auf die Erforschung der Glasknochenkrankheit spezialisiert und leitet heute die Spezialambulanz für seltene pädiatrische Skeletterkrankungen und pädiatrische Rheumatologie in der Kinder- und Jugendmedizin der Uniklinik Köln.