Erfahrungsbericht Knie-TEP
Symbolbild, ©New Africa/Adobe Stock

Eigentlich lief die Implantation der Knieprothese bei Ludwig Franke ausgezeichnet. Dennoch hat der 63-jährige Rechtsanwalt Schmerzen. Dass diese Schmerzen mit seiner in Berlin lebenden drogensüchtigen Tochter zusammenhängen sollen, hält er zunächst für einen schlechten Scherz. 

Ein Bericht des Orthopäden Dr. Philipp Traut, aufgeschrieben von Michael Lohmann

»Gibt es außer dem Problem mit Ihrem Knie noch etwas anderes, was Ihnen schlaflose Nächte bereitet?«
Rechtsanwalt Ludwig Franke (Name geändert) ist zum ersten Mal in meiner Praxis. Mit seinen 63 Jahren ist er immer noch eine sportliche Erscheinung, wenn da nicht die Probleme mit seinem rechten Bein wären. Nach dem Einsatz des künstlichen Kniegelenks kann er das Bein nur noch unter Schmerzen beugen. An Fahrradfahren ist nicht mehr zu denken.

»Und dabei hatte mir der Operateur gesagt: ›In sechs Wochen werden Sie Ihr Knie gar nicht mehr bemerken!‹ Von wegen! Alles ist schlimmer als vorher.«
Bei der Untersuchung stelle ich fest, dass es an der Gelenkmechanik nicht liegen kann, die ist einwandfrei. Die Mechanik ist in der Orthopädie das Wichtigste, sie muss stimmen. Aber manchmal gibt es eben trotzdem Probleme, und viele ratlose Orthopäden schicken ihre Patienten zu mir.


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»Sie meinen, was mir Sorgen macht?«, fragt er verwundert.
Ich nicke ihm aufmunternd zu.
»Wirkliche Sorgen macht mir meine Tochter. Mit 22 Jahren ist sie unsere Jüngste. Leider hat sie in Berlin die falschen Leute getroffen.« Herr Franke schüttelt den Kopf und muss schlucken. »Drogen. Sie ist drogenabhängig. Es ist ein Alptraum! Aber was hat das mit meinem Knie zu tun?«

»Seelischer Stress kann durchaus ein Grund dafür sein, dass Ihr Knie nicht gut wird. Sehen Sie, das neue Kniegelenk funktioniert einwandfrei. Insofern war die Operation ein Erfolg. Das Problem ist die ausbleibende Heilung. Unser Körper steuert seine Heilungsprozesse über das vegetative Nervensystem. Wenn uns aber schlimme Sorgen umtreiben, dann gerät unser Nervensystem aus dem Gleichgewicht und es können Heilungsstörungen auftreten. Man nennt das Arthofibrose: Eine starke Vermehrung des Bindegewebes um das Gelenk herum, die zu schmerzhaften Bewegungseinschränkungen führt.«

»Sie meinen, weil ich Stress mit meiner Tochter habe, hat sich an meinem neuen Knie dieses Gewebe gebildet?«
»Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Aber das kann durchaus ein Faktor sein, den wir ernst nehmen müssen. Mittlerweile gibt es eine Reihe von Studien, die belegen, dass seelischer Stress die zellulären und biochemischen Vorgänge während des Heilungsprozesses negativ beeinflussen.«

»Ich dachte eigentlich, ich bin hier beim Orthopäden und nicht beim Psychotherapeuten.« Herr Franke lächelt leicht spöttisch.
»Ja, ich weiß, das ist ungewöhnlich. Nur habe ich in meiner langjährigen Tätigkeit in der Reha-Klinik hier in Bad Oeynhausen immer wieder die Erfahrung gemacht, dass emotionaler Stress auch bei orthopädischen Probleme eine Rolle spielen kann.«

Meine frühere Tätigkeit in der Klinik hatte mich dazu geführt, mich vertieft mit der seelischen Verfassung meiner Patienten zu beschäftigen. Bei bestimmten Patienten mussten wir immer wieder feststellen, dass unsere sonst wirksame Therapie bei ihnen keinen Erfolg zeigte. Es waren Patienten wie der LKW-Fahrer nach einem schweren Auffahrunfall: Benzin war ausgelaufen, das Fahrzeug fing Feuer, die Flammen loderten und der Mann war eingeklemmt im Fahrersitz wie in einem Käfig. Er hatte panische Angst, bei lebendigem Leib zu verbrennen. Erst im letzten Moment konnte ihn die Feuerwehr befreien. Das sind Bilder, die wird man nicht mehr los. Sein kleinstes Problem war sein zertrümmertes Knie, weit schlimmer waren die wiederkehrenden Alpträume, Flashbacks und Panikattacken.

Man nennt das Posttraumatisches Belastungssyndrom. Das führte dazu, dass er seinen Beruf nicht mehr ausüben konnte. Deshalb kam er zu uns zur Rehabilitation in die Neurologie, wo es eine auf Traumapatienten spezialisierte Abteilung gibt.
Da er infolge des Unfalls ein neues Kniegelenk bekommen hatte, wurde der Patient auch mir konsiliarisch vorgestellt. Ähnlich wie bei Herrn Franke war auch bei ihm eine deutliche Arthofibrose feststellbar. Nur mit großer Mühe konnte er das neue Gelenk bewegen. Wir haben dann versucht, das Knie nach dem üblichen physiotherapeutischen Schema zu mobilisieren. Doch obwohl der Patient fast drei Monate in der Klinik war, konnten wir seine Mobilität nicht so weit verbessern, dass er zufrieden sein konnte.

Ähnliche Erfahrungen machten wir mit Bundeswehrsoldaten, die wegen traumatischer Kriegserfahrungen in Afghanistan in die Klinik kamen. Wiesen sie Gelenkverletzungen oder Knochenbrüche auf, kam es deutlich häufiger zu Heilungsstörungen. Auch da mussten wir feststellen, dass unsere Mobilisierungstherapie keinen Erfolg hatte.

Die Frage war also: Warum funktioniert bei ihnen nicht, was bei »normalen Patienten« in der Regel wirkt? Bei Patienten ohne traumatische Erfahrungen kommt es allenfalls in fünf bis zehn Prozent der Fälle nach einer Knie-TEP zu Heilungsstörungen, bei den Trauma-Patienten waren diese Störungen dagegen die Regel. Es lag somit auf der Hand, dass die seelische Situation eine wichtige Rolle spielt, unklar waren jedoch die Zusammenhänge im Einzelnen.

Um die Zusammenhänge zu verstehen, kam mir ein Zufall zur Hilfe. Ebenfalls hier in Bad Oeynhausen gibt es ein großes Herzzentrum, in dem auch viele Herz- und Lungentransplantationen gemacht werden. In diesem Institut gab es bereits seit 1990 ein Fibrose-Forschungszentrum, da solche Fibrosen bei Transplantationen immer wieder auftreten. Obwohl unsere Kliniken nur 500 Meter auseinanderliegen, wussten wir nichts von dieser Forschung. Dann bekam die Klinik einen neuen Chefarzt und wir luden ihn im Ärzteverein zu einem Vortrag über die Fibroseforschung ein. Da bin ich natürlich sofort neugierig geworden und habe Kontakt zu dem Kollegen aufgenommen.

Das war vor zehn Jahren. Bald konnten wir dann eigene Studien durchführen. Und dabei zeigte sich ein wichtiges Ergebnis, was meine ganze spätere Tätigkeit geprägt hat: Dass die Fibroblasten, die die Heilungsprozesse steuern, mechanisch sensibel sind. Wenn man sie mechanisch irritiert, dann vermehren sie sich stark und dann können sie auch innerhalb des Heilungsprozesses nicht mehr im normalen Rahmen absterben. Diese starke Vermehrung des Bindegewebes führt zu einer schmerzhaften Bewegungseinschränkung, da dieses Gewebe auch in sehr kurzer Zeit mit Schmerznerven versorgt wird.

Somit war klar, warum unsere übliche Bewegungstherapie bei diesen Patienten nicht funktionierte: Wir haben versucht, die Gelenke mit Dehnübungen zu mobilisieren und genau das führte zu der starken Vermehrung des Zell- und Bindegewebes, die dann die Bewegung immer schmerzhafter machte. Es war ein Teufelskreis.

Welche Rolle emotionaler Stress bei dieser krankhaften Vermehrung des Bindegewebes spielt, war jedoch immer noch nicht klar. Doch 2015 gab es Studien, die zeigten, dass Stresshormone die Fibroblasten empfindlicher für mechanischen Stress machen. Im Weiteren konnten wir auch in der Zellkultur nachweisen, dass Stresshormone zu einer starken Vermehrung der Fibroblasten führen. Diese Ergebnisse decken sich mit einer amerikanisch-ungarischen Studie mit Depressionspatienten. Dort wurde nachgewiesen, dass emotionaler Stress sich bis in den zellulären Bereich bemerkbar macht: Der Stoffwechsel der Fibroblasten, die für den Heilungsprozess zuständig sind, wird verändert.

Die Seele kann den Körper also bis in den zellulären Bereich verändern. Obwohl ich aufgrund der Erfahrung mit traumatisierten Patienten bereits wusste, dass emotionale Faktoren eine Rolle spielen müssen, war ich doch überrascht, dass sich diese Veränderungen bis in den zellulären Stoffwechsel hinein nachweisen lassen.
Auf dieser Grundlage haben wir ein neues Behandlungsmodell entwickelt, bei der auch fachkundige psychologische Hilfe eine wichtige Rolle spielt. Was die orthopädische Seite angeht, versuchen wir nicht mehr, das versteifte Gelenk zu mobilisieren. Wir verzichten vollkommen auf mechanischen Stress und gehen weg von der Vorstellung, das Problem müsse mechanisch gelöst werden. Das Ziel ist es, dem Körper zu helfen, das störende Gewebe wieder abzubauen, dann wird das Kniegelenk von selbst beweglich.

»Und ich dachte, ich hätte zu wenig trainiert, obwohl ich – trotz der Schmerzen – jeden Tag meine Übungen gemacht habe. Bei meinem Nachbarn hat das ja auch funktioniert. Er ist zehn Jahre älter und hatte letztes Jahr die gleiche OP. Nach sechs Wochen konnte er schon wieder Radfahren. Er hatte überhaupt keine Probleme«, sagt Herr Franke.

»Das ist in der Regel auch der normale Verlauf. Wenn aber eine Heilungsstörung auftritt, ist das sonst übliche Training Gift. Dann geht es darum den Körper zu beruhigen und emotionalen Stress abzubauen.«
»Aber was heißt das jetzt für mich? Werde ich erst wieder gesund, wenn meine Tochter keine Drogen mehr nimmt?«
»Nein, aber es heißt, dass wir die emotionalen Faktoren mitberücksichtigen sollten. Wie gesagt, unser Ziel ist nun, den Körper zu beruhigen. Dafür brauchen wir die richtige Physiotherapie mit angenehmen Körpererfahrungen. Daher empfehle ich Lymphdrainage, Massage und osteopathische Behandlung. Tun Sie sich etwas Gutes! So wie man ein Kind streichelt, das sich verletzt hat, so können auch Sie jetzt eine Streicheleinheit gebrauchen!«

»Das hört sich gut an!« Ein Lächeln geht über sein Gesicht. »Ich wollte schon gar nicht mehr zur Physiotherapie, weil es immer so weh tut.«
»Ganz wichtig: Ihr Physiotherapeut darf nicht mehr an Ihr Knie! Bewegen dürfen nur Sie es, denn Sie sind der Einzige, der merkt, wann es weh tut. Lieber nichts machen, als viel falsch! Stattdessen sollte er Sie mit Körpertherapien behandeln: Fußreflexmassagen, Rücken- oder Bindegewebsmassagen. All das wird den Körper beruhigen.«


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»Wie lange wird das wohl dauern? Ich brauche meinen Sport als Ausgleich zum Beruf – werde ich überhaupt wieder Radfahren können?«
»In dieser Hinsicht kann ich Sie wirklich gut verstehen, ich bin auch ein Bewegungsmensch. Wir können zuversichtlich sein: Zum Glück liegt Ihre Operation noch nicht lange zurück. Wenn wir jetzt die Therapie umstellen, wird es Ihnen in sechs bis acht Wochen deutlich besser gehen.«
»Ich hatte schon die Befürchtung, es würde so bleiben.« Herr Franke war sichtlich erleichtert.
»Nein, die Sorge müssen Sie nicht haben. Wenn diese Störungen früh behandelt werden, gehen sie in der Regel auch schnell wieder weg. Etwas Geduld müssen Sie natürlich schon mitbringen und ganz wichtig: Lernen Sie auf Ihren Körper zu hören!«
»Wie kann ich das lernen?«
»Der Körper sendet uns Signale, die sollten wir wahrnehmen. Ein starkes Signal ist der Schmerz: Wenn eine Behandlung schmerzhaft ist, so ist es in diesem Moment nicht die richtige. Ganz einfach. Und umgekehrt signalisiert uns der Körper auch, was ihm gut tut. Jetzt sollten Sie Ihrem Körper ein Wohlfühlprogramm zukommen lassen.«
»Doch wenn es wieder Stress mit meiner Tochter gibt, wird es schwierig mit dem Wohlfühlen«, meinte Herr Franke.
»Ja, das stimmt. Deswegen ist es vielleicht eine Überlegung wert, ob Sie sich jetzt nicht auch psychologische Unterstützung holen sollten. Es gibt mittlerweile auch sehr gute Entspannungstechniken, die Körper und Seele helfen.«
»Ja, darüber habe ich auch schon nachgedacht.«
Abschließend gebe ich Herrn Franke meinen Arztbrief mit den Therapievorschlägen.

Als ich Herrn Franke ein halbes Jahr nach unserem Gespräch wiedersehe, wirkt er wie ausgewechselt. Frisch, voller Elan und auch sein Knie kann er wieder beugen.
»Kennen Sie MBSR, diese amerikanische Methode um Stress zu reduzieren?« fragt er mich.
»Ja, natürlich. Das ist eine wunderbare Methode, den Körper zu beruhigen und die Seele gleich mit.«
»Und es hilft gegen Stress. Ich nehme mir jetzt jeden Abend Zeit für meine Übungen.«
»Sehr gut!«, lobe ich. »Und wie geht es Ihrer Tochter?«
»Da ist wieder Land in Sicht. Sie ist aus Berlin weggezogen und hat eine Lehre als Goldschmiedin angefangen. Es besteht Grund für vorsichtige Hoffnung.«


Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch: Wenn eine Begegnung alles verändert – Ärztinnen und Ärzte erzählen. Hier schildern Ärztinnen und Ärzte prägende Begegnungen mit Patienten und thematisieren dabei neuartige Behandlungswege. ©atp Verlag, Köln 2021.